Kornblume und Klatschmohn kennt fast jeder, aber unscheinbare Arten wie Ackerfrauenmantel und Einjähriges Bingelkraut? Martin Temme stellt ihre Überlebensstrategien, aber auch ihre
Gefährdungsursachen vor.
Der Lebensraum Acker stellt seit jeher schwierige Bedingungen an die wild lebende Pflanzenwelt, da der Boden häufig bearbeitet, also immer wieder das Wachstum der Wildpflanzen unterbrochen wird.
Hier konnte sich auf Dauer nur etablieren, wer an die besonderen Verhältnisse angepasst war.
Überlebensstrategien
Die bis heute sicherste und erfolgreichste Strategie der Ackerpflanzen kennen wir gut aus dem eigenen Gemüsegarten oder Blumenbeet. Kaum hat man den
Boden von konkurrierendem Pflanzenwuchs befreit und die zart sprießenden Möhren- oder Sommerblumenpflänzchen freigelegt, schon keimt neues Ungemach und rückt den gewünschten Pflanzen auf die
Pelle. Kein Wunder, dass sich deshalb der Begriff „Unkraut“ für unerwünschte Wildpflanzen etabliert hat.
Einjährige Pflanzen
Es sind zumeist einjährige Kräuter und Gräser, die nur eine kurze Zeit von der Keimung bis zur Fruchtreife brauchen. Selbst wenn sie - noch in Blüte
stehend - frühzeitig der Hacke oder dem Grubber zum Opfer fallen, reifen die Samen oft noch nach und starten ihren Siegeszug erneut. So nutzen auch viele Pflanzen der Getreideäcker die Zeiten
zwischen der Bearbeitung für eine volle Generation.
Die Liste möglicher Ackerkräuter im Kreis Heinsberg ist lang und deckt sich weitgehend mit dem, was im heimischen Garten auf frisch bearbeiteten Flächen den Boden nach wenigen Wochen begrünt. Die
nachfolgenden Angaben sollen einen groben Überblick verschaffen, sind jedoch aus Platzgründen unvollständig.
Neben den noch verbreiteten Mohnarten Saat-, und Klatschmohn und der recht selten gewordenen Kornblume (Vorwarnliste) fallen auf Anhieb noch die Echte und die etwas größere Geruchlose Kamille
auf. Weitere häufige, bunt blühende Arten sind Kleiner, Weicher und Schlitzblättriger Storchschnabel, Behaartes und Kleinblütiges Franzosenkraut, Rote und Stängelumfassende Taubnessel,
Flohknöterich, Persischer Ehrenpreis und Acker-Stiefmütterchen sowie - etwas seltener - der Gewöhnliche Erdrauch und der rot blühende Acker-Gauchheil. Hervorzuheben ist noch der auf der
Vorwarnliste stehende Sardische Hahnenfuß, der westlich des Rheins zerstreut aber verbreitet, im übrigen NRW nur noch sehr selten vorkommt. Weniger auffällig, aber überall häufig sind
Vogelknöterich, Hirtentäschelkraut, Vogelmiere und Gemeines Greiskraut, ebenso verbreitet, jedoch vielen unbekannt sind Acker-Schmalwand, Knäuel-Hornkraut, Efeu- und Feldehrenpreis (Veronica
arvensis) und Ackerfrauenmantel.
Nur hin und wieder findet man im Kreisgebiet den Glänzenden und den Acker - Ehrenpreis (Veronica agrestis), beide stehen auf der Vorwarnliste, sehr selten den Feldziest (stark gefährdet) und den
Acker-Kleinling (stark gefährdet). Von der gefährdeten Spurre, einem Nelkengewächs der Sandäcker, sind bislang nur Funde von Ersatzstandorten bekannt geworden.
Einjährige und verbreitete Gräser der Getreidefelder sind der sehr filigrane Windhalm, das Ackerfuchsschwanzgras und das überall auf offenen Böden schnell erscheinende einjährige
Rispengras.
Typische Pflanzen der Hackfruchtäcker können sich etwas länger Zeit lassen. Hier wachsen mehrere Gänsefußgewächse, die im Volksmund gerne unter „Melde“ zusammengefasst werden. Der Weiße Gänsefuß
ist sehr häufig, seltener sind auch der Feigenblättrige und der Vielsamige Gänsefuß sowie die Ausgebreitete Melde zu finden. Seit neuerer Zeit treten immer häufiger verschiedene ursprünglich in
Amerika beheimatete Fuchsschwanzarten (Amaranth) auf. Auffallend, mit ihren großen gelben Korbblüten und den eigentümlich gezackten, blaugrünen Blättern, ist auch die Saat-Wucherblume - die
entgegen ihrem Namen viel häufiger zwischen Rüben oder Kartoffeln steht. Sie gilt in NRW als gefährdet, kommt im Kreisgebiet aber stellenweise noch in guten Beständen vor. Am Niederrhein und in
der Kölner Bucht sehr häufig, in der Westfälischen Bucht hingegen kaum zu finden ist das unauffällige Einjährige Bingelkraut, ein Wolfsmilchgewächs mit männlichen und weiblichen Blüten auf
getrennten Pflanzen.
Zwei mit dem Mais nahe verwandte und wie dieser zu den Fingergräsern zählende Arten bilden oft fast den einzigen Unterwuchs im Maisacker: die Blutrote Fingerhirse und die Hühnerhirse.
Auch selektive Spritzmittel stoßen hier also manchmal an ihre Grenzen.
Rhizom-Pflanzen
Ebenso hartnäckig können mehrjährige Pflanzen mit Wurzelausläufern (Rhiz-omen) sein. Sie breiten sich - neben der generativen Vermehrung über die Blüten -
unterirdisch aus. Eine mechanische Bearbeitung mit Hacke oder Grubber überstehen sie oft unbeschadet, wenn sie nicht an die Oberfläche geraten und dort austrocknen. Vielmehr kann eine solche
Bearbeitung sogar zur Ausbreitung und Vermehrung führen, da auch die Teil-stücke der Rhizome schnell wieder aus-treiben und neue Triebe an der Oberfläche erscheinen.
Bei uns häufig im Acker zu finden sind Quecke, Ackerschachtelhalm, Acker -Winde und Kriechender Hahnenfuß. Seltener sind die Wilde Sumpfkresse, die Landform des Wasserknöterichs und der
Sumpfziest, manchmal ist auch die Ackerminze anzutreffen.
Gefährdungsursachen
Größter Feind der Ackerwildpflanzen ist die Giftspritze. Seitdem neben der mechanischen Unkrautbekämpfung auch ein flächiges, sogar selektives Abtöten
unerwünschter Pflanzenarten innerhalb der bewachsenen Anbauflächen möglich ist, hat sich das Landschaftsbild „Feldflur“ stark verändert. Unbestritten ist die Ertragssteigerung und die
Vereinfachung der Ernte durch weitgehend „unkrautfreie“ Flächen. Das Ausmaß der Artenverarmung ist allerdings frappierend. Einige intensiv landwirtschaftlich genutzte Bereiche im Kreis Heinsberg
sind im Frühsommer nahezu wildkrautfrei. Aber auch Düngung und Kalkung der Äcker haben nicht alle Ackersspezialisten vertragen.
Allgemein häufig sind nur noch Arten, die keine besonderen Ansprüche an den Boden stellen und viel Stickstoff vertragen. Stark spezialisierte Pflanzengesellschaften der nährstoffarmen, sauren
Sandäcker zum Beispiel, sind in der Anbaufläche erloschen.
Entweder wurden diese Flächen nach und nach durch Eintrag von Kalk, Dünger und Humus für die Nutzpflanzen verbessert, oder wegen zu niedriger Erträge ganz aus der ackerbaulichen Nutzung genommen.
In beiden Fällen verloren damit einige Spezialisten ihren über Jahrhunderte etablierten Lebensraum. Wenn überhaupt noch, sind ihre seltenen Vorkommen auf Ersatzbiotope wie Sandgruben, Halden,
sandige Wegränder und schütter bewachsene Ruderalbereiche beschränkt. Mit Giftstoffen stark verunreinigtes Getreide führte früher nicht selten zu schweren Erkrankungen bis hin zum Tod. Vor allem
sind hier Mutterkorn, ein Pilz, der in Getreideähren wächst und die Samen der schönen, aber stark giftigen Kornrade zu nennen. Die verbesserte maschinelle Getreide- und Saatgutreinigung
reduzierte das Gesundheitsrisiko gegen null, bedeutete allerdings neben der Kornrade auch für einige andere großsamige Arten das Aus.
Perspektive
Selten gelingt es, dass spezialisierte Ackerpflanzen ihren Lebensraum erweitern. Eine Ausnahme stellt die in NRW als gefährdet eingestufte Ackerröte dar.
Ursprünglich an kalkhaltige Äcker gebunden und deshalb im Kreis Heinberg fehlend, findet man sie immer häufiger in kurz gehaltenen Zierrasenflächen. Der regelmäßige Schnitt der Konkurrenz lässt
„dem zierlichen, quirlblättrigen Pflänzchen mit seinen zartrosa Blüten genügend Licht und möglicherweise kommt ihr ab und zu eine Kalkung zugute. Aber auch verschollene Arten können im Boden noch
viele Jahre als Samen schlummern, bevor sie durch mechanische Erdarbeiten zum Keimen kommen. Ihre Chance, für Nachkommen zu sorgen, ist auf Intensivnutzflächen allerdings gering, da sie fast
immer vor der Fruchtreife der Giftspritze zum Opfer fallen. Folglich verringert sich von Jahr zu Jahr der sogenannte Diasporenvorrat der Wildkräuter im Boden.
Deshalb sind ökologisch bewirtschaftet Flächen, die ohne Herbizideinsatz aus-kommen und ein Aussamen ermöglichen, eine große Chance für selten gewordenen Ackerpflanzen.
Wünschenswert wäre auch eine verstärkte Fortführung und Ausweitung des bereits vor 30 Jahren entwickelten Ackerrandstreifenprogramms, dessen Umsetzung seit vielen Jahren - vermutlich wegen zu
geringer Förderprämien im Vergleich zu den Ernteerträgen auf unseren sehr fruchtbaren Böden – rückläufig ist. Gefördert wird hier die extensive Bewirtschaftung von Ackerteilflächen, z. B. 5 m im
Randbereich. Hierbei findet Bodenbearbeitung, Einsaat und Ernte wie auf der übrigen Ackerfläche statt, allerdings unter anderem verbunden mit den folgenden Auflagen: Verzicht auf Düngung und
Pflanzenschutzmittel, kein Eggen und Striegeln, in Teilbereichen nur flaches Wenden oder Grubbern, in Teilbereichen späterer Stoppelumbruch.
Dieses kleine „Opfer“ seitens der Landwirtschaft könnte vielen Ackerwildkräuter eine langfristige Perspektive bieten.