Mit der Wahl des Turmfalken (Falco tinnunculus) zum Vogel des Jahres 2007 will der NABU auf die Probleme dieser Vogelart, die unsere Dörfer, Städte und Offenlandschaften besiedelt,
aufmerksam machen. Dabei steht er gleichzeitig als Beispiel für viele andere Arten, die ebenfalls in dem von ihm bewohnten Lebensraum vorkommen und sich in einer konfliktträchtigen Situation zum
Menschen befinden.
Verwandtschaft und Status
Der Turmfalke gehört der Ordnung der Greifvögel (Falconiformes) und der Familie der Falken (Falconidae) an. Er ist der häufigste Vertreter dieser Familie in Europa und in Deutschland.
Zu den in Deutschland brütenden Falken zählen
Im Kreis Heinsberg ist neben dem Turmfalken nur der Baumfalke Brutvogel. Als Durchzügler treten im Kreisgebiet noch Merlin, Wanderfalke, Rotfußfalke (selten) und Eleonorenfalke (sehr selten,
bisher 1 Beobachtung) auf.
Stand- und Zugvogel
Der Turmfalke ist bei uns überwiegend Standvogel, bleibt also ganzjährig im heimischen Gebiet. Manche Vögel, insbesondere die Jungvögel, verlassen im Herbst ihre rheinische Heimat, um in den
wärmeren Süden Europas, zum Teil bis nach Nordafrika zu ziehen. Andererseits findet Zuzug aus Nord- und Osteuropa bei uns statt, so dass der Eindruck eines über das ganze Jahr gleichbleibenden
Bestandes entsteht. Die zugezogenen Turmfalken verbringen hier den Winter.
Name und Historie
Der Turmfalke bevorzugt hochgelegene Brutplätze, gerne Nischen an Türmen. Auf diese Vorliebe ist sein Name zurückzuführen. Der wissenschaftliche Name tinnunculus bedeutet „schellend, klingelnd“
(vom lateinischen tinuire = klingeln) und hängt mit den charakteristischen Rufen des Falken, einer Rufreihe in Form eines hellen, kichernden „gik-gik-gik-gik-gik“, zusammen. Im Schwäbischen wird
er auch „Turmweih“ genannt, im Volksmund heißt er häufig „Rüttelfalk“.
Bereits der antike Philosoph und Schriftsteller Aristoteles hat den Turmfalken erwähnt und seine Lebensweise im Vergleich mit anderen Greifvögeln wie folgt beschrieben:
Er trinke als einziger von allen anderen krummschnäbligen Vögeln, jedoch selten. Hierauf hat Conrad Gesner in seinem Werk von 1555, ins Deutsche übersetzt von Georg Horst 1669, hingewiesen.
Dieser Hinweis zeigt, dass die Kenntnis von den Greifvögeln in der Antike noch sehr lückenhaft war.
Vom römischen Schriftsteller Plinius wurde über den Turmfalken Erstaunliches berichtet. Der Turmfalke, der sich in der Nähe von Tauben befinde, erschrecke den Habicht und schütze so die Tauben.
Auch sei er von Decimus Brutus als fliegender Briefbote benutzt worden, indem er die an seine Füße gebundenen Briefe in die von Antonius belagerte Stadt Mutina transportiert habe.
Im Mittelhochdeutschen war der Name des Turmfalken „Wannenweher“ (siehe C. Gesner 1555/G. Horst 1669). Der Name leitet sich aus dem Althochdeutschen „wehe“ ab, einer Bezeichnung für Greifvögel.
Im Mittelalter kannte man schon sehr viele Details über die Fortpflanzung und Ernährung des Turmfalken. So heißt es im Vogelbuch des letztgenannten Autors bzw. Übersetzers: „Der Wannenwäher lebet
von den Flädermäusen/Mäusen/Heuschrecken/Wespen/kleinen Vögeln/und kriechenden Thieren.“
Damit ist das Beutespektrum des Turmfalken sehr umfassend beschrieben worden.
Gestalt und Rufe
Der Turmfalke gehört mit 35 cm Länge und einer Spannweite von 75 cm zu den kleinen Greifvögeln in Deutschland. Charakteristisch ist der Rüttelflug des Turmfalken, den er bei der Nahrungssuche
häufig einsetzt, um seine Beutetiere aus der Höhe zu orten.
Alte Männchen und Weibchen unterscheiden sich in der Gefiederfärbung. Die Männchen haben einen hellgrauen Kopf und einen rotbraunen Rücken mit kleinen dunklen Flecken. Der Schwanz ist ebenfalls
hellgrau mit einer schwarzen Endbinde. Die Unterseite des Körpers ist gelblich mit Längsstreifen und kleinen dunklen Tropfenflecken. Beim Weibchen dagegen sind Kopf, Rücken und Schwanz rostbraun
gefärbt mit dichter dunkler Fleckung und Querbänderung. Die Körperunterseite ist stärker gefleckt als beim Männchen.
Auffällig sind die lauten, scharfen Rufreihen der Altvögel „kikikiki . .“, die überwiegend während des Fluges ausgestoßen werden. Die Bettelrufe der Jungvögel lassen sich mit einem langgezogenen,
wimmernd vibrierenden „kri i i i“ umschreiben.
Die durchschnittliche Lebenserwartung des Turmfalken beträgt 3-4 Jahre, wobei die Männchen hin der Regel älter werden als die Weibchen. Das maximale Alter wurde mit fast 24 Jahren nachgewiesen.
Verbreitung und Lebensraum
Der Turmfalke ist ein verbreiteter Brutvogel in nahezu ganz Europa sowie in großen Teilen Asiens und Afrikas. Er hat ursprünglich nur Felsregionen besiedelt und sich mit dem Entstehen der
menschlichen Siedlungen an diesen Lebensraum angepasst, wobei er seine Brutplätze in hohen Häusern, Türmen und Scheunen angelegt hat. Er besiedelt aber auch viele andere Lebensraumtypen, wie
Waldränder oder Gehölze in offenen Landschaften. Zum Jagen benötigt er vor allem offene Flächen mit niedriger Vegetation.
Bestand und Bestandsschwankung
In Deutschland leben knapp 50.000 Turmfalken-Brutpaare, im gesamten Mitteleuropa nur 90.000 Brutpaare und in Europa insgesamt etwa 350.000 Brutpaare. Angesichts dieser Relationen tragen wir
Deutschen große Verantwortung für den Erhalt der Art.
Die Populationen des Turmfalken sind über viele Jahrzehnte hin weitgehend stabil geblieben. Nur nach Kältewintern oder schlechten Mäusejahren kam es kurzfristig zu Bestandseinbußen. Erst ab den
1960er Jahren ist es in Mitteleuropa sowie angrenzenden Ländern gebietsweise zu erheblichen Bestandsrückgängen gekommen. So hat KNORR (1967) von einer Abnahme des Bestandes im damaligen Kreis
Erkelenz berichtet und ihn als seltenen bis (spärlichen?) Brutvogel bezeichnet. Ein Tiefststand trat in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ein. Dabei wurden sehr starke Rückgänge in sehr
intensiv bewirtschafteten, ausgeräumten Kulturlandschaften festgestellt. Die stärksten Abnahmen in Höhe von bis zu 50 % verzeichnen Russland, England und Frankreich. Der hiesige Brutbestand
scheint zurzeit einigermaßen stabil zu sein.
Verhalten
Der Turmfalke ist ausschließlich tagaktiv. Er jagt hauptsächlich im offenem Gelände, wobei sein Jagdrevier etwa. 200 ha beträgt. Beutetiere sind vor allem Feld- und Wühlmäuse, in geringerem Maße
Kleinvögel, Eidechsen, Insekten und Regenwürmer. In Städten ist der Beuteanteil an Vögeln höher als im Offenland.
Bei der Jagd ist besonders auffällig der häufig angewandte Rüttelflug, der es ihm ermöglicht, die Beute aus 20-40m Höhe zu finden und sie im Sturzflug zu schlagen. Der Turmfalke ist ein wahrer
Meister in dieser Flugtechnik, während andere Vogelarten, zum Beispiel der Mäusebussard, sie nicht so gut beherrschen und daher auch nur gelegentlich von ihr Gebrauch machen.
Fortpflanzung
Turmfalken sind bereits am Ende des 1. Lebensjahres geschlechtsreif. Sie leben überwiegend in Einehe. Manche Paare bleiben sogar während des ganzen Jahres zusammen. Die Partner besetzen ab
Spätwinter das Brutrevier.
Die Brutplätze befinden sich in Gebäuden, Bäumen oder Felsen. Häufig werden Nischen und Halbhöhlen, aber auch Baumnester anderer Arten – meist von Krähen – genutzt. Nistkästen und -hilfen werden
gern angenommen. Wenn als Brutplatz nicht ein vorhandenes Nest genutzt wird, begnügt sich der Turmfalke mit einer kleinen Mulde, aus der die Eier nicht wegrollen können.
Es findet in aller Regel eine Jahresbrut statt. Die Eiablage beginnt meist ab April. Das Gelege besteht überwiegend aus 4 bis 6 Eiern. Nur das Weibchen brütet. Schon vor der Eiablage beginnt das
Männchen damit, das Weibchen mit Beute zu versorgen. Die Brutdauer beträgt 27 bis 32 Tage. Die Jungen werden nach dem Schlüpfen gut 4 Wochen lang im Nest gefüttert. Nach mindestens 4 weiteren
Wochen der Betreuung sind die Jungen selbstständig. Der Bruterfolg ist stark abhängig vom Beuteangebot und kann an geschützten Brutplätzen 4-5 Junge betragen.
Gefährdung und Schutz
Der Turmfalke ist in seinem hiesigen Vorkommen zwar (noch) nicht gefährdet, jedoch lassen die Bestandsrückgänge in anderen Gebieten Deutschlands und Europas befürchten, dass sich mittel- oder
langfristig die Situation deutlich verschlechtern könnte. Die Ursachen sind in einer Verminderung des Nahrungsangebots, der Nistmöglichkeiten und des Lebensraums zu sehen. Es ist inzwischen
leider Realität, dass selbst die sehr anpassungsfähigen Mäuse in den meisten Jahren nicht mehr so reichlich vorhanden sind, wie dies in früheren Jahrzehnten der Fall war; außerdem sind die
anderen Beutetiere wie Kleinvögel, Eidechsen sowie viele Insektenarten rückläufig.
Hinsichtlich dieser Entwicklung besteht ein Zusammenhang
mit dem Umbruch von Dauergrünland in Ackerflächen, der Umwandlung von kleinparzelligen, abwechslungsreichen Anbauflächen sowie Winterbrachen in großflächige Agrarsteppen, der Bodenverdichtung und
Kahlfraß durch übermäßige Beweidung, dem zunehmenden Gülleeinsatz (dadurch wohl Einbruch der Feldmausbestände) und dem Verlust von Feldgehölzen und Hecken sowie Wegrainen und Brachstreifen.
Damit ist die Hauptursache für die Probleme des Turmfalken und anderer Arten des Lebensraumes in der Intensivierung und Technisierung der Landwirtschaft zu sehen.
Die verminderten Nistmöglichkeiten stehen im Kausalzusammenhang mit der Renovierung von Gebäuden und dem damit einhergehenden Verschwinden von Brutnischen und Einschlupfmöglichkeiten.
Insbesondere in abgedichteten Kirchtürmen und Scheunen findet sich kein Platz mehr für Turmfalke und Co. Aber auch das Verschwinden von Feldgehölzen und Altbäumen, in denen der Turmfalke
leerstehende Krähennester besiedelt, ist hier zu nennen.
Letzlich sind große Flächenverluste an Offenland (= Nahrungsgebieten) weiterhin die Regel, wobei insbesondere die Neuausweisung von Siedlungs- und Gewerbeflächen sowie von Verkehrswegen
ungebremst weitergeht. Hier ist der Landschaftsverbrauch einzuschränken.
Hinsichtlich der Schutzmaßnahmen ergeben sich folgende Ziele und Forderungen:
Was kann der einzelne Bürger tun?
Er kann an NABU-Aktionen zum Schutz des Turmfalken teilnehmen. Im Rahmen solcher Aktionen werden z.B. Nisthilfen für den Turmfalken gefertigt und im Freiland ausgebracht. Diesbezügliche
Aktivitäten lassen sich natürlich auch in eigener Zuständigkeit durchführen.
Es besteht aber auch in bestimmten Fällen die Möglichkeit, sich für die Besiedlung von Kirchtürmen einzusetzen und in diesem Zusammenhang die Kirchenvertreter (Pfarrer, Kirchenvorstand,
Gemeindereferent) anzusprechen. Häufig wird der Aktive dabei auf Verbündete stoßen, denn viele kirchliche Gemeinden engagieren sich aus Überzeugung für die Bewahrung der Schöpfung.
Es ist ferner sinnvoll, Sitzkrücken zu fertigen und im Gelände auszubringen. Werden diese in der Nähe von Stromleitungen platziert, so hilft dies außerdem, die Verluste durch Stromtod zu
verringern.